In diesem Blogpost möchte ich gerne näher auf das Studium an der La Sapienza eingehen. In Hildesheim studiere ich im Bachelor Sozial- und Organisationspädagogik. Hier wurde ich der Fakultät Psicologia e Medicina zugeteilt. Genauer gesagt belege ich Kurse des Bachelorstudienganges Servizio Sociale was sich in Soziale Arbeit übersetzen lässt. Gestartet haben meine Vorlesungen Mitte September und gingen bis zu den Weihnachtferien. Im Januar finden dann die Examen (die sogennanten ,,Appelli“) statt. Ich belegte Kurse aus dem zweiten und dritten Jahr: Psicologia Clinca (klinische Psychologie), Salute Pubblica (öffentliches Gesundheitswesen) und Psicologia delle organizazzione e di lavoro (Arbeits- und Organisationspsychologie). Die Kurse finden jeweils zweimal wöchentlich für anderthalb Stunden statt. Also hat man jeden Kurs 3h die Woche. Das ist ein Unterschied zu Deutschland wo ein Kurs in der Regel nur einmal die Woche stattfindet. Die Lernmethoden sind für mich allerdings ein wenig fragwürdig. Die Stunde besteht meist daraus, dass der Professor seine Powerpointpräsentation vorstellt. Dabei passierte es leider oft, dass die Professoren mindestens eine halbe Stunde zu spät kamen oder manchmal auch gar nicht erst auftauchten. Bescheid wusste natürlich meistens niemand. Gruppenarbeiten gab es in meinen Kursen gar nicht. Insgesamt waren wir nur 40 StudentInnen in den Kursen was sehr angenehm war da eigentlich meist auch nur die Hälfte anwesend war. Jedes Mal musste ich auch auf einer Anwesenheitsliste unterschreiben. Fehlen darf man nur bis zu einer bestimmten Prozentzahl von 10 Prozent der Kursstunden. Meine Prüfungen werde ich am 18 und 20 Januar haben und zwar mündlich. Für Salute Pubblica musste ich eine 15 Seiten Hausarbeit über das Deutsche Gesundheitssystem auf Englisch schreiben, die mündliche Prüfung ist allerdings auf Italienisch. Psicologia Clinica darf ich zum Glück auf Englisch absolvieren. Dafür werden mir 8 Fragen schon im Vorhinein gegeben und ich muss die Antworten mit dem Professor diskutieren.
Die Monate Oktober, November und Dezember habe ich genutzt um viel Reisen zu gehen. Wann bekommt man schon die Möglichkeit so nah an einem internationalen Flughafen zu wohnen? Die Flugverbindungen in Rom sind wirklich fantastisch. Fast alle Ziele sind per Direktflug erreichbar. Insgesamt war ich bisher in Neapel, Capri, Pompei (Italien), Bukarest (Rumänien), Athen(Griechenland) und Sofia (Bulgarien).
Napoli, Capri e Pompei
Meine erste Reise führte mich mit dem Studentennetzwerk ESN nach Neapel, Capri und Pompei. Innerhalb von nur zwei Stunden sind wir mit dem Bus in Neapel angekommen. Aufgeteilt wurden wir in 4 unterschiedliche Hostels. Da fing das Problem auch schon an. Niemand wusste so recht wer in welchem Hostel war. Aber in Italien lernt man schnell alles etwas lockerer zu sehen. Meine drei Freundinnen und ich wurden mit 4 portugiesischen Jungs in einem Klosterhostel in Neapel untergebracht. In diesem wohnen seltsamerweise eigentlich keine Touristen sondern Studenten und zwar nur männliche. Jaja da waren wir als Frauen doch eine kleine Attraktion. Der Besitzer des Hostels war witzigerweise aus Hamburg (was man leider auch sehr stark an seinem deutsch-italienischen Akzent hören konnte). Die Stadt an sich ist tatsächlich so laut, dreckig und chaotisch wie man aus Erzählungen hört aber das Essen ist bombastisch gut. In die Pizza mit Büffelmozarella hätte ich mich reinlegen können. Außerdem waren die Leute um einiges netter als in Rom. Wenn man ein Kaffeeliebhaber ist sollte man auf jeden Fall seinen Kaffee (Nicht vergessen Kaffee=Espresso) ,,senza zuchhero” also ohne Zucker bestellen, denn die Napoletaner mixen Zucker von Anfang an in den Kaffee.
Nach Capri gelangten wir dann mit der Fähre von Neapel aus. Die Überfahrt dauerte ungefähr 1.5 Stunden und war dank Wellengang etwas wackelig aber dennoch sehr schön. Die Insel ist nicht unbedingt groß aber dafür sehr teuer. Ein Eis hatte mich doch glatt 5 Euro gekostet. Es hat sich aber trotzdem gelohnt. Wenn man erstmal die ganzen Treppen bis auf den Hauptplatz oben auf der Insel hinaufgestiegen ist dann wird man mit einem atemberaubenden Blick auf das Meer und das Festland belohnt:
Der dritte und letze Stop war dann Pompei. Leider hatten wir, aufgrund der Organisationstalente des Studentennetzwerks, von der Stadt an sich nichts gesehen. Aber wir durften die Ausgrabungsstätten in Pompei besichtigen. Die Tour war auf italienisch (was nicht gerade schlau gewählt was denn außer mir und ein paar spanischen ErasmusstudentInnen sprach so ziemlich niemand Italienisch). Deshalb versuchte ich so gut wie es geht das Gesagte zu übersetzen. Am meisten fasziniert hat mich die Architektur von damals. Sehr fortschrittlich für damalige Verhältnisse. Am Abend machten wir uns dann wieder auf nach Rom.
Bukarest
Diese Stadt hat mich wirklich umgehauen. Als erstes haben wir eine Free Walking Tour gemacht (die kann man in fast jeder großen Stadt Europas machen). Die Dauer betrug 2.5 Stunden und wir haben viel über den ehemaligen Präsidenten, die Entwicklungen der Stadt und vor allem auch der StudentInnenbewegungen gelernt. Ich hatte zum Beispiel nicht gewusst dass es blutige Studentenproteste, bei denen auch StudentInnen ums Leben gekommen sind, gab. Die Einheimischen waren dort sehr nett und sprachen auch überraschend gutes Englisch. Untergebracht waren wir in einem schnuckeligen AirBnb Apartement direkt in der Partyszene (In Bukarest kann man echt gut, günstig und vor allem sicher feiern gehen).
Athen
Ende November ging es dann von Rom Ciampino nach Athen. Dort wurden wir von 18 Grad warmen Wetter empfangen. Die meiste Zeit konnte man sich also ohne Jacke draußen bewegen. Auch hier haben wir uns einer Free Walking Tour angeschlossen. Meine Highlights waren definitiv die Akropolis und der Berg Lykabettus (griechisch Λυκαβηττός/Lykavittós). Von dort aus hatte man einen unglaublichen Blick auf ganz Athen. Das Essen war sehr lecker wenn auch etwas gewöhnungsbedürftig. Die meisten Restaurants führten ihre Speisekarte nur auf griechisch aber die Servicekräfte waren immer nett und hilfsbereit und übersetzen jedes einzelne Gericht für uns. Unser Hostel war das Mable House in Athen. Klein aber fein und aus sehr viel Marmor. Die Griechen sind wirklich ein witziges Volk. Das einzig doofe (genau wie in Rom): Busfahrkarten kann man nicht so wie in Deutschland im Bus kaufen sondern man muss sich im Vorhinein informieren wo man welche bekommen kann. Der öffentliche Transport ist gut ausgebaut aber man kommt auch fast überall super zu Fuß hin. Nach nur zwei Tagen ging es dann auch schon wieder nach Rom zurück.
Sofia
Hier fasse ich mich kurz, denn Sofia hat mir persönlich so gar nicht gefallen. Die Leute waren zum Teil wirklich unverschämt unfreundlich und nicht hilfsbereit. Wenn man nach dem Weg fragte wurde man meist nur verdutzt angeguckt und wenn man Glück hatte wurde einem auf bulgarisch geantwortet (was ja auch jeder versteht). Die Stadt wirkt eher grau und trist und ist ziemlich kommunistisch geprägt. Das Essen war auch nicht wirklich toll. Aber dennoch hatten wir eine gute Zeit und haben das Beste daraus gemacht. Es kann ja auch nicht immer nur gute Erfahrungen geben. Unser Rückflug war auch sehr interessant. Ein Italienier und ein Bulgare wollten sich gegenseitig verprügeln, weil der Bulgare sich von den Blicken des Italieners provoziert gefühlt hat. Aber Gott sei Dank war das Flugpersonal als Streitschlichter relativ erfolgreich und so sind wir auch sicher in Rom gelandet.
Am 14 September 2016 startete ich mein Abenteuer Auslandsemster. Innerhalb von 1.5 Stunden ging es für mich von Stuttgart nach Rom. Dort gibt es 2 Flughäfen: einen in Ciampino, der eher für Kurzstreckenflüge gedacht ist, und einen in Fiumicino, welcher für internationale Flüge genutzt wird. Vom Flughafen Fiumicino aus kann man entweder mit dem Bus oder mit dem Zug nach in die Innenstadt Roms fahren. Nebenbei bemerkt: Man kann auch sehr gut mit der Bahn anreisen. Das rentiert sich vor allem, wenn man viel Gepäck hat. Ich hatte mich aufgrund des günstigen Preises von 4 Euro allerdings für den Bus entschieden. Da ich Mitte September, was der Hochzeit des Touristenanfluges entspricht, geflogen bin war der Flughafen entsprechend voll. Am Termini, dem Hauptbahnhof Roms, angekommen habe ich mir ein Taxi zu meiner Wohnung genommen da ich mir nicht vorstellen konnte mit meinem ganzen Gepäck in die sowieso schon viel zu volle Tram zu steigen. Ich habe dem Taxifahrer versucht auf Italienisch klarzumachen wo ich hinmöchte. Dieser hat natürlich wahrgenommen, dass ich keine Italienerin bin und wollte mich am Porta Maggiore gleich abzocken. Das ist ein großer Kreisverkehr und jede Ausfahrt sieht so ziemlich gleich aus. Da ich mich aber in Rom bereits auskannte und wusste wo ich hinmusste habe ich ihn höflich darauf hingewiesen, dass er doch eben bitte diese eine Ausfahrt in Richtung Pigneto/Prenestina rausfahren soll und nicht zweimal im Kreis zu fahren braucht.
Porta Maggiore
Öffentlicher Transport oder auch: Das Chaos lebt !
In Rom gibt es drei U-Bahn-Linien, die Metro A, Metro B. und die Linie C. Man kommt mit der Metro sehr gut überall hin, da die Metro quer durch Rom alle Hauptpunkte anfährt und in der Metro die Haltestellen immer angesagt werden. Auf die Metro kann man sich im Regelfall eigentlich auch immer verlassen. Sie fahren im Minutentakt, allerding nur bis Mitternacht. Danach ist man auf die Nachtbusse angewiesen. Die Fahrpläne für die Busse stehen einem per App zur Verfügung. Die Fahrt mit den Bussen macht allerdings wenig Spaß. Gedrängel ist an der Tagesordnung und im Bus fühlt man sich dann auch schnell wie eine Sardine in der Dose. Ein Semesterticket von der Uni gibt es nicht. Als StudentIn kann man sich eine Monatsfahrkarte für 35 Euro kaufen, das ist genauso viel wie alle anderen Nicht-Studenten auch zahlen müssen. Allerdings ist der ganze Spaß immer noch günstiger als die Hildesheimer Preise. Die öffentlichen Verkehrsmittel streiken regelmäßig einmal im Monat, was hier auch als sciopero bezeichnet wird. Man muss sich darauf einstellen, dass der Weg zur Universität oder ins Zentrum teilweise schwierig wird oder man erst gar nicht in die Stadt kommt.
Universitätsleben
Die Aula Magna – Das Zentrum der La Sapienza
Die Sapienza ist die größte Universität Europas und berüchtigt für ihre chaotische Organisation. Die Einführungsveranstaltungen für die ERASMUS-Studenten fanden unter dem Motto ,,Welcome Week‘‘ statt. Angeboten wurde alles was man über das Studium an der Sapienza wissen muss. Im Großen und Ganzen waren die Workshops aber nicht wirklich hilfreich, da sie zu allgemein gehalten waren und man die ganzen Informationen auch im Internet hätte finden können. An der Sapienza müssen alle Ausländischen Studenten einen Sprachkurs belegen und vorher einen Einstufungstest auf Italienisch machen. Bis die Ergebnisse für die Kursverteilungen rauskamen, verging jedoch ein Monat. Als ich nach einem Monat immer noch kein Ergebnis per Mail bekommen habe ergriff ich die Initiative und meldete mich bei den Verantwortlichen des Tests. Dort habe ich lediglich die Auskunft bekommen, dass keine Ergebnisse von mir vorliegen würden (und dass obwohl ich nach dem Test meine E-Mail Adresse und Telefonnummer abgeben musste). Ich solle doch stattdessen einfach in irgendeinen Kurs gehen. Entschieden habe ich mich für den B1 Kurs welcher meinem Sprachniveau entspricht. Innerhalb der ersten Tage musste ich mich bei meinem zuständigen ERASMUS-Büro anmelden. Der Auskunft über die Öffnungszeiten im Internet jedoch kann man nicht trauen und sollte lieber selbst zum Büro gehen und sich erkunden, wann es geöffnet ist. Generell gilt an der Sapienza: traue nicht den Auskünften im Internet, erkundige dich persönlich. Ich bin an der Fakultät Medicina e Psicologia eingeschrieben und konnte mir den Stundenplan anhand von Aushängen im Fakultätsgebäude selber zusammenstellen. Allerdings dauerte es auch hier zwei Wochen nach Semesterbeginn, bis die Aushänge für die Kurse fertiggestellt waren. Insgesamt besuche ich hier frei Kurse: Psicologia Clinica, Psicologia del lavoro e delle organizzazione und Salute Pubblica. Die Vorlesungen finden alle auf Italienisch statt und unterscheiden sich sehr von denen an unserer Universität. In Italien hält der/die ProfessorIn einen zweistündigen Vortrag ohne jegliche Interaktion mit den StudentInnen. Das war vorallem zu Beginn sehr gewöhnungsbedürftig für mich. Referate und Gruppenarbeiten sind genauso ein Fremdwort wie Partizipation. Auf jeden Fall sollte man die Dozenten darüber informieren, dass man ERASMUS-Student ist. Wie man sehen kann ist das italienische Studiensystem viel hierarchischer strukturiert als das Deutsche. Dies bedeutet, dass die Studenten in der Rangfolge ganz unten stehen und auch dementsprechend wenig zu melden haben. In dem Studiengang sieht die Prüfungsvorbereitung meist so aus, dass die Bücher zum jeweiligen Thema (auch meist vom Professor, der die Vorlesung hält) auswendig gelernt werden müssen und das man am Ende des Semesters eine mündliche Prüfung ablegen muss. Meines Erachtens hat das den Nachteil, dass eigenständiges Denken und kritisches Hinterfragen weitgehend auf der Strecke bleibt. Allerdings ist das Wissen, das man dort im Laufe der Studienzeit erwirbt sicherlich breiter, da man sich weniger auf einzelne Themengebiete konzentrieren muss.
La dolce Vita
Einiges muss man sich gleich zu Anfang bewusst werden: Rom ist chaotisch, laut und teuer. Nicht nur die Mieten für ein Zimmer sind unglaublich hoch, sondern auch die Lebenserhaltungskosten. Das einzige, was im Vergleich zu Deutschland günstig wirkt, ist Kaffee. Einen Cappuccino gibt es schon ab einem Euro. Kulturell hat die Stadt sehr viel zu bieten. An jeder Ecke lässt sich ein historisches Bauwerk finden und es gibt auch diverse interessante Ausstellungen in den zahlreichen Museen. Als StudentIn der Archäologie oder Geschichte bekommt man in Museen und Sehenswürdigkeiten freien Eintritt, ansonsten gibt es überall Studentenrabatt. Zum Ausgehen eignen sich sehr gut die Viertel San Lorenzo und Trastevere.
Trastevere
Dort gibt es zahlreiche Restaurants und gute Bars in denen gelegentlich Live-Musik gespielt wird. Alkohol ist hier aber deutlich teurer als zu Hause: einen Cocktail bekommt man ab 9 Euro. Das Studentennetzwerk ESN organisiert auch regelmäßig Partys, Exkursionen und Reisen zu anderen Städten Italiens. Darüber berichte ich aber noch ausführlicher in meinem nächsten Blog Post.
What if I say I’m totally like the others? – Rockmusik mit positiver Energie wird am dringesten gebraucht in diesen Zeiten des Hasses
Zugegeben: Die Foo Fighters fand ich immer ein bisschen spießig; mir hat da das Raue, Wilde und Wütende gefehlt, das Rockmusik eigentlich auszeichnet. Aber man sollte Bands nicht abstempeln, wenn man ihre Liveauftritte nicht kennt. Einen Tag vor dem Konzert gab es noch Karten – für 200 Euro. Ähm nein. Weil ich mich in Bologna auf dubiosen Partys herumtreibe, erhielt ich aber die Chance, kostenlos in den VIP-Bereich zu kommen. Dort sitzen (!) Leute, die sich für total wichtig halten und viel Gel in den Haaren haben. Sie tanzen nicht, die lächeln nicht, sie haben das hier alles schon tausend mal gesehn und dieses blonde Mädel, das ihnen Bier bringt, ist viel interessanter als die Band. Veranstaltungsmanager müsste man sein. Dann könnte man auch so eine Fresse ziehen und sich für was Besseres halten. Oder man wird eben… Konzertkritikerin.
Die ItalienerInnen sind ein verrücktes Publikum, von dem jede Band nur träumen kann. Aus “Skin and Bones” wird der Muppet Show-Song “Mahna Mahna“. Dave Grohl, der mit gebrochenem Bein auf seinem Gitarrenthron sitzt, lacht sich kaputt. Dann erzählt er von seinem ersten Auftritt in Bologna, von seiner damaligen italienischen Freundin, seinem ersten Tattoo und davon wie das Publikum in Bologna immer so richtig abgeht. Grohl hat viele Freunde in der Musiktadt Bologna. Überhaupt hat er viele Freunde, was wahrscheinlich an seiner super positiven Ausstrahlung liegt. Trotz gebrochenem Bein (die Weltournee wurde in The Broken Leg Tour umbenannt) springt er immer wieder auf. Diese Band hat so viel Energie. Nicht wütend wie Slayer, sondern voller guter Laune.
Das sind diese seltenen Momente, in denen einem auffällt, dass der VIP-Platz einen Scheiß wert ist und man sich gefälligst dafür zu schämen hat, weil eigentlich alle gleich sind (und unten im Innenraum die härtere Party abgeht).
Der Sound war besser als auf Platte, die Band hatte sichtlich Spaß und das Publikum sowieso. Es war eigentlich ein perfekter Konzertabend. Erst als man wieder draußen in der realern Welt war, strömten die Nachrichten aus Paris auf einen ein. Meine Freundin Hannah, die gerade Kunst in Paris studiert, schrieb mir eine kryptische Sms, die ich erst verstand, als ich nach einer Party gegen fünf Uhr nach Hause kam und online ging. Hannah und ich redeten via Skype. Draußen ging die Sonne auf; sie hockte in ihrem kleinen Zimmer ,,eine Straße vom Eiffelturm entfernt” und fand die ganze Situation ,,kafkaesk”.
Die Eagles of Death Metal spielten ungefähr zur gleichen Zeit im Bataclan in Paris wie die Foo Fighters in Bologna. Die beiden Bands sind befreundet; Dave Grohl trat auch im Video zu “I want you so hard” auf. Es ist also kein Wunder, dass die Foo Fighters den Rest ihrer Tour abgesagt haben. Das nächste Konzert nach Bologna hätte in Paris stattfinden sollen.
Bei dem Angriff auf das Publikum der Eagles of Death Metal an diesem Freitag, dem 13. November 2015, wurden nach offiziellen Angaben 89 Menschen getötet und 200 verletzt. Die Eagles of Death Metal haben dazu ein Statement veröffentlicht. Inzwischen hat die Band angekündigt, dass sie als erste wieder im Bataclan auftreten will. Denn von Terroristen, die das freie Leben, Partys und gute Musik für Sünde halten, lassen sich die Rocker mit dem ironisch gemeinten Bandnamen und den witzigen Songs ganz bestimmt nicht mundtot machen. Die Foo Fighters legen nun eine unbestimmt lange Pause ein, doch sie werden ihre Tourtermine sicherlich auch nachholen. Dann sogar mit einem Dave Grohl auf zwei Beinen, der noch mehr rumspringen kann.
Wie schreibt man über Musik an so einem Abend? Einem Abend, der so schön war und dann so schrecklich endete?
“[…] And there was almost a sense of guilt in having spent a lovely evening of music, on a night like this. But it needs not be so. Because music is life, because a concert is that moment when you cancel the distances between people and it feels a bit like we are all the same, all part of something that unites us beyond flags, religions, political ideas. Because at concerts people meet, who would otherwise never talk to each other in real life, they can laugh, cry, together, as part of the same family. As friends. For this, if we knew what was happening out there in the real world, we would have said: ‘Play it again, Dave.’ “
Die rechte Lega Nord Partei tritt im linken Bologna auf – mit Unterstützung von Ex-Staatschef und Skandalnudel Berlusconi. Aber das ist leider noch nicht alles.
Seit 2 Monaten studiere ich in Italien. Über mein Erasmus-Semester soll ich einen Bericht verfassen, der standardmäßig so aufgebaut ist: Es war sehr schön, ich kann es empfehlen, ich war auf vielen Partys, ein bisschen was gelernt habe ich auch, tolles Wetter, tolles Essen, Ende. Auf CyberpunkJournalism blogge ich seit knapp 5 Jahren vor allem über Kunst, Kultur und Politik. Warum nicht auch über Kunst, Kultur und Politik in Italien? Kunst und Kultur waren schon dran. Jetzt kommt das Thema, das anscheinend viele meiner Freunde langweilt. Zu unrecht. Denn Politik ist bestenfalls nichts weiter als organisierte Realitätsbewältigung und schlimmstenfalls sture Realitätsverweigerung, die unseren Alltag bestimmt.
Während meines Auslandssemesters in Bologna lerne ich natürlich brav Vokabeln. Eine neue Vokabel, die ich gestern gelernt habe, ist: Eurofascismo. Eurofaschismus heißt der Trend, dem immer mehr Menschen in Europa folgen, genau 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Sinn der Sache ist, grob zusammengefasst: Wieder mehr Nationalismus statt ein vereintes Europa. Also einen Schritt vor und dann so viele zurück wie möglich. Gestern war ich auf dem Piazza Maggiore, wo unter anderem Matteo Salvini eine Rede hielt. Das ausgerechnet Silvio Berlusconi dem Auftritt des Lega Nord-Politikers Salvini beiwohnte, ist kein gutes Omen…
Der Polizeihubschrauber war so laut, dass ich morgens davon geweckt wurde, obwohl ich in Flughafennähe wohne, also mittlerweile ziemlich lärmresistent bin. Das stundenlange Surren schuf eine unheimliche, angespannte Atmosphäre.
Unheimlicher waren allerdings die (grob geschätzt) 20.000 Lega Nord-AnhängerInnen (Matteo Salvini sprach von 100.000, linke Quellen sprechen von 12.000 bis 16.000), die auf dem Piazza Maggiore ihrem Anführer zujubelten. Wie auch bei typischen Aufmärschen in Deutschland gab es eine friedliche Gegendemonstration, die von Hippies angemeldet und organisiert wurde und eine Antifa-Demo, bei der mal wieder alle Kräfte dafür verschwendet wurden, die Polizei und die Militärpolizei zu provozieren, bis diese gewohnt aggressiv reagierten. Während bei den filmreifen Straßenschlachten Flaschen flogen und Schlagstöcke geschwungen wurden, gab es bei den Hippies kaum Probleme, da immer wieder DemonstrantInnen mit der (Militär-)Polizei deeskalierende Gespräche führten.
Ich selbst stand mitten in der Lega Nord-Menge und machte mich über sie lustig, was – im Nachhinein betrachtet – keine gute Idee war. Wenn die Militärpolizei mich nicht rechtzeitig herausgezogen hätte, wäre mir das Lachen wohl sehr schnell vergangen. Die aggressiven Lega Nord-Anhänger werden von italienischen JournalistInnen immer noch als mitte-rechts oder gar konservativ eingestuft, doch tatsächlich handelt es sich um eine Mischung aus unpolitischen Hooligans, verbitterten “Früher war alles besser”-RentnerInnen à la Alternative für Deutschland… und dann sind da noch die zahlreichen FaschistInnen, die ich mit eigenen Augen gesehen habe, was ich als in Deutschland geborene Europäerin mit Verwandten, die von den Nazis misshandelt und eingesperrt wurden, nur schwer ertragen kann.
Natürlich ließen sich die Hippie-DemonstrantInnen nicht aus der Ruhe bringen. Sie stimmen John Lennons “Imagine” an, eine hatte ihre Querflöte mitgebracht, ein paar andere Trommeln, Töpfe und Rasseln. Der auch in Deutschland oft auf linken Demonstrationen verwendete Spruch “Siamo tutti antifascisti” wurde skandiert, während eine Organisatorin dafür sorgte, dass zwischen DemonstrantInnen und PolizistInnen immer zwei Meter Abstand blieb. Ich kletterte auf ein Baugerüst, um einen besseren Überblick zu bekommen. Der Polizei war das herzlich egal. In Deutschland hätte man mich sofort dafür verhaftet und angezeigt. Meine neue Freiheit in Italien gefällt mir sehr gut. Die Frage ist nur, wie lange diese noch bleibt.
Die Hippies riefen auch meine neue Lieblingsparole “Bibiloteca – quella cosa strana!” (Sinngemäß übersetzt: Bibliothek, diese seltsame Sache, die ihr nicht kennt!)
Gegen Ende der Demonstrationen um 16 Uhr rückte die Militärpolizei langsam ab, überwachte aber weiterhin den Haupttreffpunkt der linken Studierendenorganisationen, Piazza Verdi. Auf meinem Weg ins Uni-Viertel musste ich durch eine Polizei-Kette. Die PolizistInnen sagten freundlich “Bitteschön” und räumten ihre Schilde aus dem Weg. ACAB? Nein, nicht alle Cops sind Bastarde. Bei Lega Nord sieht das ein bisschen anders aus.
Natürlich soll bei der Demo-Beschreibung nicht der eigentliche politische Hintergrund verloren gehen, denn ich schreibe schließlich nicht für die Springerpresse. Was Lega Nord fordert, lässt sich leicht zusammenfassen… denn simple “Lösungen” sind das, was gern gewählt wird: Ausländer sollen Italien verlassen, insbesondere Flüchtlinge und eigentlich alle, die arm sind, außer, Überraschung, Norditaliener. Wie der Name Lega Nord (= Liga Nord) schon andeutet, betrachten sie Norditalien (Mailand, Venedig, Rom, Bologna, …) als dem wirtschaftlich schwachen Süditalien überlegen und plädierten einst für eine Abspaltung. Matteo Salvini ist der Parteisekretär und das Gesicht von Lega Nord; er ist es auch, der die älteste Partei Italiens immer weiter nach rechts führt.
Parallelen zu Deutschland und der EU
In deutschen Talkshows fragen ModeratorInnen immer noch: ,,Wird die Stimmung bald kippen?” Intellektuelle antworten seit Monaten: ,,Sie ist bereist gekippt.” Oder als was würden Sie es bezeichnen, wenn Flüchtlingsheime brennen? Etwa als ,,angewandte Architekturkritik” (Zitat ,,Heute Show”)? Max Uthoff schnäuzte sich in der Satiresendung ,,Die Anstalt”, die mittlerweile vielmehr eine Nachrichtensendung ist, mit einem Taschentuch in Deutschlandfarben die Nase; Jakob Augstein hatte bereits 2012 einen öffentlichen Allergieanfall gegen Nationalismus (Bild 1: Phoenix, Bild 2: ZDF). Doch hunderttausende andere Deutsche sind wieder ,,besorgt” um ihr Land und steigern sich von Patriotismus in Nationalismus hinein. Man wünscht sich plötzlich wieder geschlossene Grenzen.
Ich bin im Dreiländereck Deutschland-Belgien-Niederlande aufgewachsen, habe jahrelang in Belgien gewohnt und bin in Deutschland zur Schule gegangen, am Wochenende fuhr die ganze Clique nach Holland. Ohne Grenzkontrollen. Uns ist nicht einmal aufgefallen, dass wir jeden Tag mehrmals zwischen Ländern wechselten. Auch wenn ich an die Urlaube denke, die ich als Kind mit meiner Familie in Polen verbracht habe, kann ich mich nicht an irgendwelche Grenzkontrollen erinnern. Ich habe noch keine geschlossene Landesgrenze in meinem Leben gesehen. Und ich wünschte, das könnte auch so bleiben.
Aber Nationalismus wird wieder stärker. In Italien, in Deutschland, Österreich sowieso, Schweden, England, Polen, die Schweizer Regierung tut gewohnheitsmäßig als würde sie nichts sehen und nichts hören… die Liste ist lang. Mal wieder wird nach unten getreten. Von Freunden aus Deutschland höre ich: “Die [Geflüchteten] kriegen 670 Euro im Monat! Das ist Baföghöchstsatz! Ich kriege keinen Cent Bafög!” Ja, 670 Euro sind schon viel Geld. Aber bitte: Schau’ dich in deinem Zimmer oder in deiner Wohnung um. Höchstwahrscheinlich hast du zusätzlich auch noch ein Kinderzimmer bei deinen Eltern. Stell dir vor, das wäre alles weg. Ich werde jetzt deine Bude abfackeln, inklusive aller deiner persönlichen Sachen. Danach rufe ich bei deinem Chef an und sage, dass du morgen nicht zur Arbeit kommst, weil du das Land verlassen hast. Hier hast du 670 Euro. Viel Spaß damit. Und jetzt geh’ dir gefälligst mal einen Job suchen, du fauler Sack.
Nationalismus heißt, sich anderen gegenüber privilegiert zu fühlen, einfach aufgrund der Tatsache, dass man zufällig hier und nicht woanders geboren wurde. Nationalismus heißt auch: Abschottung. Grenzzäune und -Mauern sind der Grund für erschwerte, gefährlichere Fluchtwege. Und was bringen diese gefährlichen Fluchtwege? Leichen an Europas Stränden.
Das Ganze hier mag etwas polemisch formuliert sein. Das liegt daran, dass ich wütend bin. Ich habe heute tausende Menschen rechten Politikern zujubeln gesehen und weiß, dass es gerade fast auf dem ganzen Kontinent so abläuft. Außerdem bin ich etwas enttäuscht. Die meisten, die ich gefragt habe, ob sie mit mir gegen Salvini & Co demonstrieren wollen, haben geantwortet: ,,Lass uns lieber was trinken gehen. Ich bin da ja eher unpolitisch.” Aber Hauptsache “Refugees Welcome”-Titelbild bei Facebook. Unpolitisch zu sein muss man sich leisten können.
Wie lange können wir es uns wohl noch leisten?
Aus den privaten Italien-Notizen von Mirjam Kay. Der Text gibt meine Meinung wieder, was sich an dem kleinen Wort “ich” unschwer erkennen lässt. Wenn Sie dazu Fragen haben, lesen Sie bitte zuerst das INTRO meines Blogs.
Weitere Informationen zur aktuellen politischen Lage in Italien auf
Schon vor dem Eingang zum riesigen Biennale-Gebiet erwartet einen Kunst: Eine moderne Interpretation des venezianischen Wahrzeichens (geflügelter Löwe) wie hier zum Beispiel. Und die Antifa ist auch da.
Installation: Life/Death. Auch unbedingt anschauen: American Violence.
Schutt und Asche, aber bunt. Von Katharina Grosse.
Klimawandel, motherfucker!
Ich gebe es ja zu: Zuerst war mir langweilig. Aber ich bin dankbar, dass Hannah mich zur Biennale di Venezia geschleppt hat. Kunstscheiße gab es da zwar so viel wie ich erwartet hatte. Doch manche war wirklich beeindruckend. Witzig fand ich es auch, die BesucherInnen zu beobachten. Es tragen wirklich viele Schwarz und gucken sehr gebildet. So entstand meine neuste Jobidee: Kunstkaufberaterin deluxe. Beschreibungen der Kunstwerke lesen (die sind meistens recht lang), dann neben die verbonzten Gelangweilten stellen, die murmeln: “Was will der Künstler mir damit sagen?” Laut die Antwort reinrufen, z.B. “KLIMAWANDEL, MOTHERFUCKER!” und sich mit Geldscheinen bewerfen lassen.
Einer meiner Favoriten: Die einfach nur mit Blei- und Buntstift geziechnete, detailverliebte Battleship-Reihe WITCH PLANES.
Der Zeichner arbeitet u.a. in Harlingen! Muss ich mal besuchen…
Darauf ist Verlass: Beste Kartoffelkamera-Qualitaet bei Cyberpunk Journalism !
Andererseits:
Der Original-Blogeintrag erschien am 22. Oktober 2015 auf CyberpunkJournalism, dem Blog von Mirjam Kay Kruecken.
Nun bin ich schon seit fast einem Monat in Bologna und dieser Monat war unheimlich schnell rum. Vielleicht vergeht die Zeit hier schneller, die gefühlt Zeit jedenfalls. Das liegt an den tausenden Dingen, die man in dieser Gegend machen kann, weil freundliche Menschen einen einladen, ganz egal, ob man sich kennt oder (noch) nicht. Bologna ist auf eine wunderbare Weise chaotisch, sodass man keinen Plan braucht, für nichts. Das ist wohl die berühmte Gelassenheit der SüdeuropäerInnen, mit der ich so langsam warm werde. Schön ist, dass die Busse immer genau so spät dran sind wie ich. Manchmal fahren sie auch gar nicht oder nicht dahin, wo man eigentlich hin will. Darüber habe ich mich anfangs noch aufgeregt. Wenn mir das jetzt passiert und ich deshalb morgens diesen oder jenen Kurs verpasse, gehe ich einfach frühstücken. Frühstück in Bologna ist übrigens Zucker mit Zucker und Zucker, Mittagessen gibt’s nicht wirklich und abends Fett in Fettmantel auf Fett. Garniert mit Fett. Fast alle hier sind nikotin- und koffeinabhängig. Dieser Lebensstil wird ausgeglichen durch Strandtrips und Nachtspaziergänge mit Hunden, für die man eigentlich keine Zeit hat. Nur mein Hippie-Nachbar ist zu cool dafür, er hat ein Hausschwein. Er trägt den, derzeit leider auch in Bologna beliebten, Berlin chic mit Knödelfrisur und Spiegelglas-Plastiksonnenbrille. Abgesehen von diesem Verbrechen haben die ItalienerInnen aber Stil: Gerade läuft mal wieder eine riesige Expo sowie die Fashion Week in Mailand, außerdem hat mich die Architektur in Bologna bisher jedes Mal umgehauen. Oft stehe ich mit dem Kopf in den Nacken gelegt und offenem Mund wie ein Vollidiot in Lernsälen, Bibliotheken oder Vorlesungsräumen, starre die Deckenfreskos an oder bestaune eine mit Anarchiezeichen besprühte Skulptur. Manche GraffitikünstlerInnen haben viel Talent, aber null Respekt vor historischen Gebäuden. Daraus ergibt sich ein Mix aus alter und neuer Malerei, der nach LSD-Trip aussieht.
Manchmal hänge ich den ganzen Tag in irgendwelchen Räumen der Università di Bologna rum, scheibe ein bisschen was und genieße die Atmosphäre (Oder wie mein 16-jähriges Ich es damals beim erstmaligen Betreten der Uni Hamburg formulierte: “Es riecht nach Bildung!”). Die technische Ausrüstung hingegen ist nicht gerade fortschrittlich, sodass die Engineering & Architecture – Fakultät größtenteils ins Umland Bolognas verlegt wurde… weshalb ich wohl doch nicht aus Spaß in irgendwelchen Space Mission Design – Vorlesungen sitzen kann. Damn.
Ich habe ein bisschen beim Online-Sprachtest geschummelt, um nicht in den Italienischkurs für Anfängerinnen gesteckt zu werden. Jetzt muss ich also irgendwie im mittleren Kurs klarkommen, obwohl ich erst im vergangenen Semester angefangen habe die Sprache zu lernen. In drei Wochen haben wir sechs Zeitformen durchgepaukt, in ein paar Tagen ist die Klausur. Ich kann jetzt also auf Italienisch sagen: “Ein Salamander lief/läuft/ist gelaufen/wird laufen/liefe/würde laufen”, habe aber zu wenig Alltagsvokabular drauf, um meinen zukünftigen Boss am Telefon zu verstehen. Ja, ich habe einen Nebenjob gefunden oder besser gesagt: der Job hat mich gefunden. An meinem zweiten Tag in Bologna wurde ich gefragt, ob ich als Standista, also Hostess, für Auto- und Motorradmessen arbeiten wolle. Natürlich nicht. Ich finde es abstoßend, dass Frauen zu Dekorationsobjekten herabgewürdigt werden. “Die Feministin in mir lacht sich kaputt, die Schreiberin geiert auf eine Gonzo-Reportage, die Motorradliebhaberin auf Ducati-Rabatt, die Studentin riecht Cash und die restlichen Stimmen streiten sich immer noch, ob es ‘carpe diem’ oder ‘yolo’ heißt.” Nach diesem Facebook-Post ermunterten mich Freunde und Bekannte, den Job anzunehmen und darüber zu schreiben. Zur Zeit liege ich allerdings krank im Bett, weil ich mit den harten Temperaturwechseln da draußen (Von 30°C auf 15°C und zurück!) überhaupt nicht klarkomme. Nun gammle ich also mit Erkältung und Sonnenbrand (trotz Mega-Sunblocker) vor dem Notebook rum und schreibe über das ach so harte Erasmus-Leben.
Ein bisschen lächerlich ist es ja schon: Ich jammere ständig darüber, dass mein Stadtrand-Zimmer in Flughafennähe so viel kostet wie meine komplette Wohnung in Deutschland; ich meckere rum, weil alle Lebensmittel hier locker 10% – 20% teurer sind als in Deutschland (8€ für Erdbeeren, wtf) und meine größten Probleme gerade sind Creditpoints, Bafög-Bürokratie und Kopfschmerzen. Was für eine Farce. Täglich kommen mir total abgemagerte, verstört wirkende junge Männer aus Nigeria oder Libyen entgegen, die fragen, ob ich ihnen ein Feuerzeug oder Taschentücher abkaufen würde, damit sie nicht betteln müssen. Das sind die Menschen, die immerhin nicht vor Lampedusa ersoffen sind, aber trotzdem von der E.U. im Stich gelassen werden. Und wenn ich 100 Feuerzeuge kaufe, die ich nicht brauche, dann ist damit immer noch keinem geholfen. Als einzelne Person kann man Symptome eines Problems bekämpfen. Für die großen Dimensionen, die Wurzeln des Problems, ist die Politik zuständig. Ich denke da an eine Freundin aus Österreich, die von sich gesagt hat, sie sei unpolitisch, weil Politik nicht wirklich was mit ihrem Leben zu tun hätte. Einen Monat später musste sie zum Semesterbeginn über die deutsch-österreichische Grenze. Die war aber blöderweise zu. Wegen des Flüchtlingsstroms macht die Europäische Union dicht und verrät damit ihre eigenen Werte. Ich habe den Großteil meiner Kindheit im Dreiländereck Belgien-Holland-Deutschland verbracht und verbinde daher mit allen drei Ländern mehr als Bier und Gras. Dass die Grenzen offen waren (zumindest für Menschen aus der E.U.), war für mich bis jetzt eine Selbstverständlichkeit; den anderen Scheiß kannte man ja nur aus dem Geschichtsunterricht. Meiner Meinung nach sind also die Leute, die sich mir gegenüber als “unpolitisch” geoutet haben, aber von Berufswegen oder aus Spaß zwischen Ländern pendeln, gezwungenermaßen politisch. Ab einem gewissen Punkt kann jemand mit gesundem Menschenverstand die Realität nicht mehr ignorieren… und Politik ist ja gewissermaßen nichts anderes als organisierte Realitätsbewältigung. Oder sollte es zumindest sein.
Wie man diesem Gefasel schon anmerkt: Gestern haben meine Seminare in Political Sciences begonnen (Literatur kommt nächste Woche dazu) und ich bin froh, “Europe in World Politics” gewählt zu haben, weil mir beim Zuhören, beziehungsweise beim Lesen der backsteinschweren Seminarlektüre, ab und zu tatsächlich mal ein Licht aufgeht. Außerdem hat sich mir heute mein Sitznachbar J. vorgestellt, der ziemlich gut aussieht und im Gegensatz zu 99% der italienischen Bevölkerung hervorragend Englisch spricht. Das hier ist ein subjektiver Reisebericht und kein Manifest, also verzeiht mir bitte diesen Wechsel zwischen Oberlehrerhaftigkeit und Oberflächlichkeit. Außerdem habe ich immer noch fiese Kopfschmerzen und schreibe eher zur Selbstmedikamentierung sowie für meine zwei oder drei Stalker, die mir mehrfach vorgerworfen haben, ich würde nie autobiografisch schreiben, obwohl mein Leben spannender sei als meine Phantasie (das ist übrigens kein Kompliment, ihr Arschgeigen).
In Italien habe ich so viele herzliche Menschen getroffen, dass ich wahrscheinlich total begeistert wäre, hätte ich nicht so meine klischeehaft-deutschen Probleme mit sozialen Situationen. Hier begrüßen mich wildfremde Erasmus-Studierende mit Küsschen. Ich denke dann nach über Herpes und so. Wenn ich alleine ans Meer fahre, um in Ruhe schwimmen zu können, schleppt man mich zu Strandpartys und lädt mich zum Essen ein. Darüber freue ich mich natürlich sehr, bin aber auch leicht genervt, weil ich wieder nicht zum Schreiben gekommen bin. Eine griechische Freundin will mir die Insel Lesbos zeigen (klingt nach Anmache), ein junger Dozent für Kommunikationswissenschaft und Satellitentechnik erinnert mich stark an eine eigene Buchfigur und ich will alles über seine Arbeit für die European Space Agency und sein Treffen mit einem
Nasa-Astronauten erfahren. Eine Freundin aus Litauen schleppt seit Wochen den superniedlichen Hundewelpen ihres Mitbewohners mit sich herum (funktioniert als Anmache; ich nenne sie die Paris Hilton dieses Erasmus-Jahrgangs). Kommunistische und anarchistische Studierendenorganisationen und Diskussionsgruppen laden mich zu ihren Veranstaltungen ein; sie sind nicht so verzweifelt-verbissen wie in Deutschland, denn in Bologna ist die Regierung links und der wichtigste Platz im Studierendenviertel (Piazza Verdi) gehört quasi der Antifa. Alles hier ist bunt, laut, anstrengend, kunstvoll, aufregend. Ich werde täglich erschlagen von den Möglichkeiten, die sich mir bieten. Meine KommilitionInnen kommen deutlich besser damit klar als ich; sie tanzen sozusagen auf allen Hochzeiten, ohne müde zu werden. Vielleicht trinken die auch einfach mehr Kaffee als ich und haben sich keine einsam-autistischen Schreibprojekte aufgezwungen. Schreiben scheint aber zu helfen, ich fühle mich schon etwas besser. Zu viele Möglichkeiten haben ist ein Luxusproblem. Vielleicht mache ich ja morgen was mit Menschen. Wenn nicht, lese ich eben dieses Seminarlektüremonstrum. Irgendwo muss man anfangen. Oder wie der große Philosoph Shia LaBeouf einst sagte: “What are you waiting for? DO IT!!!”
Der Original-Eintrag erschien am 26. September 2015 auf CyberpunkJournalism, dem Blog von Mirjam Kay Kruecken.
Bologna kennen die meisten meiner Altersgenossen nur durch den Wanda-Song und die europäische Studienreform, die dort beschlossen wurde… und gehörig daneben ging. Da kann Bologna natürlich nichts für.
Die Università di Bologna ist eine ältesten Universitäten der Welt, etwa 100.000 BewohnerInnen dieser Stadt sind Studierende. Man nennt Bologna auch la Dotta (die Gelehrte), la Rossa (die Rote, wegen der roten Dächer und der linken Regierung) und la Grassa (die Fette, wegen der nicht ganz so gesunden Cuisine). Außerdem ist Bologna UNESCO-Musikstadt, was mir als Konzrtkritikerin aus einer anderen UNESCO-Musikstadt natürlich gut gefällt.
Ich bin seit ein paar Tagen in Bologna und habe festgestellt:
Die historische Innenstadt ist trotz vieler Baustellen wunderschön.
Wenn man zu weit außerhalb wohnt, ist man gearscht! Das Leben spielt sich im Zentrum ab, wo die Mieten allerdings irrwitzig hoch sind. Doppia (geteiltes Zimmer) ca. 250 – 350€, Singola (Einzelzimmer) ca. 400 – 500€.
Erasmus ist das Mallorca unter den Austauschprogrammen: Neonfarbene Plastiksonnenbrillen; hässliche Jack & Jones-Shirts; verwöhnte rich kids, die Drogenkonsum für etwas Besonderes und Verrücktes halten; Techno-Mukke und natürlich saufen, saufen, saufen.
Es gibt eine alternative Szene fernab von Erasmus-Ballermann-Gehabe, aber die muss man suchen. Bad Religion zum Beispiel sind mir persönlich zu sehr Popmusik. Machine Head, Ministri und Jedi Mind Tricks kann man sich schon eher geben. Alle spielen im Oktober im Estragon.
Die seltsamste Party in Bologna heißt Decadence – und der Name ist Programm.
Essen ist teurer als in Deutschland, dafür aber sehr gut. Zug- und Busfahrten sind chaotischer, dafür viel billiger als in Deutschland. Für weniger als 10 Euro kommt man von Bologna aus ans Meer.
Im Sommer (dazu zählt auch September, da es hier 25 – 30 °C sind) darf man sich über hamstergroße Mückenstiche freuen, die einem laaange erhalten bleiben.
Frau wird offensichtlich und unverschämt angeglotz, angebaggert, angequatscht… denn auch bierbäuchige Mopedmachos haben hier viel Selbstbewusstsein oder tun zumindest so.
Das Klischee stimmt: Extra Regale im Supermarkt, nur für Pasta und Soßen.
Der Original-Eintrag erschien am 3. September 2015 auf CyberpunkJournalism, dem Blog von Mirjam Kay Kruecken.