What if I say I’m totally like the others? – Rockmusik mit positiver Energie wird am dringesten gebraucht in diesen Zeiten des Hasses
Zugegeben: Die Foo Fighters fand ich immer ein bisschen spießig; mir hat da das Raue, Wilde und Wütende gefehlt, das Rockmusik eigentlich auszeichnet. Aber man sollte Bands nicht abstempeln, wenn man ihre Liveauftritte nicht kennt. Einen Tag vor dem Konzert gab es noch Karten – für 200 Euro. Ähm nein. Weil ich mich in Bologna auf dubiosen Partys herumtreibe, erhielt ich aber die Chance, kostenlos in den VIP-Bereich zu kommen. Dort sitzen (!) Leute, die sich für total wichtig halten und viel Gel in den Haaren haben. Sie tanzen nicht, die lächeln nicht, sie haben das hier alles schon tausend mal gesehn und dieses blonde Mädel, das ihnen Bier bringt, ist viel interessanter als die Band. Veranstaltungsmanager müsste man sein. Dann könnte man auch so eine Fresse ziehen und sich für was Besseres halten. Oder man wird eben… Konzertkritikerin.
Die ItalienerInnen sind ein verrücktes Publikum, von dem jede Band nur träumen kann. Aus “Skin and Bones” wird der Muppet Show-Song “Mahna Mahna“. Dave Grohl, der mit gebrochenem Bein auf seinem Gitarrenthron sitzt, lacht sich kaputt. Dann erzählt er von seinem ersten Auftritt in Bologna, von seiner damaligen italienischen Freundin, seinem ersten Tattoo und davon wie das Publikum in Bologna immer so richtig abgeht. Grohl hat viele Freunde in der Musiktadt Bologna. Überhaupt hat er viele Freunde, was wahrscheinlich an seiner super positiven Ausstrahlung liegt. Trotz gebrochenem Bein (die Weltournee wurde in The Broken Leg Tour umbenannt) springt er immer wieder auf. Diese Band hat so viel Energie. Nicht wütend wie Slayer, sondern voller guter Laune.
Das sind diese seltenen Momente, in denen einem auffällt, dass der VIP-Platz einen Scheiß wert ist und man sich gefälligst dafür zu schämen hat, weil eigentlich alle gleich sind (und unten im Innenraum die härtere Party abgeht).
Der Sound war besser als auf Platte, die Band hatte sichtlich Spaß und das Publikum sowieso. Es war eigentlich ein perfekter Konzertabend. Erst als man wieder draußen in der realern Welt war, strömten die Nachrichten aus Paris auf einen ein. Meine Freundin Hannah, die gerade Kunst in Paris studiert, schrieb mir eine kryptische Sms, die ich erst verstand, als ich nach einer Party gegen fünf Uhr nach Hause kam und online ging. Hannah und ich redeten via Skype. Draußen ging die Sonne auf; sie hockte in ihrem kleinen Zimmer ,,eine Straße vom Eiffelturm entfernt” und fand die ganze Situation ,,kafkaesk”.
Die Eagles of Death Metal spielten ungefähr zur gleichen Zeit im Bataclan in Paris wie die Foo Fighters in Bologna. Die beiden Bands sind befreundet; Dave Grohl trat auch im Video zu “I want you so hard” auf. Es ist also kein Wunder, dass die Foo Fighters den Rest ihrer Tour abgesagt haben. Das nächste Konzert nach Bologna hätte in Paris stattfinden sollen.
Bei dem Angriff auf das Publikum der Eagles of Death Metal an diesem Freitag, dem 13. November 2015, wurden nach offiziellen Angaben 89 Menschen getötet und 200 verletzt. Die Eagles of Death Metal haben dazu ein Statement veröffentlicht. Inzwischen hat die Band angekündigt, dass sie als erste wieder im Bataclan auftreten will. Denn von Terroristen, die das freie Leben, Partys und gute Musik für Sünde halten, lassen sich die Rocker mit dem ironisch gemeinten Bandnamen und den witzigen Songs ganz bestimmt nicht mundtot machen. Die Foo Fighters legen nun eine unbestimmt lange Pause ein, doch sie werden ihre Tourtermine sicherlich auch nachholen. Dann sogar mit einem Dave Grohl auf zwei Beinen, der noch mehr rumspringen kann.
Wie schreibt man über Musik an so einem Abend? Einem Abend, der so schön war und dann so schrecklich endete?
“[…] And there was almost a sense of guilt in having spent a lovely evening of music, on a night like this. But it needs not be so. Because music is life, because a concert is that moment when you cancel the distances between people and it feels a bit like we are all the same, all part of something that unites us beyond flags, religions, political ideas. Because at concerts people meet, who would otherwise never talk to each other in real life, they can laugh, cry, together, as part of the same family. As friends. For this, if we knew what was happening out there in the real world, we would have said: ‘Play it again, Dave.’ “
Die rechte Lega Nord Partei tritt im linken Bologna auf – mit Unterstützung von Ex-Staatschef und Skandalnudel Berlusconi. Aber das ist leider noch nicht alles.
Seit 2 Monaten studiere ich in Italien. Über mein Erasmus-Semester soll ich einen Bericht verfassen, der standardmäßig so aufgebaut ist: Es war sehr schön, ich kann es empfehlen, ich war auf vielen Partys, ein bisschen was gelernt habe ich auch, tolles Wetter, tolles Essen, Ende. Auf CyberpunkJournalism blogge ich seit knapp 5 Jahren vor allem über Kunst, Kultur und Politik. Warum nicht auch über Kunst, Kultur und Politik in Italien? Kunst und Kultur waren schon dran. Jetzt kommt das Thema, das anscheinend viele meiner Freunde langweilt. Zu unrecht. Denn Politik ist bestenfalls nichts weiter als organisierte Realitätsbewältigung und schlimmstenfalls sture Realitätsverweigerung, die unseren Alltag bestimmt.
Während meines Auslandssemesters in Bologna lerne ich natürlich brav Vokabeln. Eine neue Vokabel, die ich gestern gelernt habe, ist: Eurofascismo. Eurofaschismus heißt der Trend, dem immer mehr Menschen in Europa folgen, genau 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Sinn der Sache ist, grob zusammengefasst: Wieder mehr Nationalismus statt ein vereintes Europa. Also einen Schritt vor und dann so viele zurück wie möglich. Gestern war ich auf dem Piazza Maggiore, wo unter anderem Matteo Salvini eine Rede hielt. Das ausgerechnet Silvio Berlusconi dem Auftritt des Lega Nord-Politikers Salvini beiwohnte, ist kein gutes Omen…
Der Polizeihubschrauber war so laut, dass ich morgens davon geweckt wurde, obwohl ich in Flughafennähe wohne, also mittlerweile ziemlich lärmresistent bin. Das stundenlange Surren schuf eine unheimliche, angespannte Atmosphäre.
Unheimlicher waren allerdings die (grob geschätzt) 20.000 Lega Nord-AnhängerInnen (Matteo Salvini sprach von 100.000, linke Quellen sprechen von 12.000 bis 16.000), die auf dem Piazza Maggiore ihrem Anführer zujubelten. Wie auch bei typischen Aufmärschen in Deutschland gab es eine friedliche Gegendemonstration, die von Hippies angemeldet und organisiert wurde und eine Antifa-Demo, bei der mal wieder alle Kräfte dafür verschwendet wurden, die Polizei und die Militärpolizei zu provozieren, bis diese gewohnt aggressiv reagierten. Während bei den filmreifen Straßenschlachten Flaschen flogen und Schlagstöcke geschwungen wurden, gab es bei den Hippies kaum Probleme, da immer wieder DemonstrantInnen mit der (Militär-)Polizei deeskalierende Gespräche führten.
Ich selbst stand mitten in der Lega Nord-Menge und machte mich über sie lustig, was – im Nachhinein betrachtet – keine gute Idee war. Wenn die Militärpolizei mich nicht rechtzeitig herausgezogen hätte, wäre mir das Lachen wohl sehr schnell vergangen. Die aggressiven Lega Nord-Anhänger werden von italienischen JournalistInnen immer noch als mitte-rechts oder gar konservativ eingestuft, doch tatsächlich handelt es sich um eine Mischung aus unpolitischen Hooligans, verbitterten “Früher war alles besser”-RentnerInnen à la Alternative für Deutschland… und dann sind da noch die zahlreichen FaschistInnen, die ich mit eigenen Augen gesehen habe, was ich als in Deutschland geborene Europäerin mit Verwandten, die von den Nazis misshandelt und eingesperrt wurden, nur schwer ertragen kann.
Natürlich ließen sich die Hippie-DemonstrantInnen nicht aus der Ruhe bringen. Sie stimmen John Lennons “Imagine” an, eine hatte ihre Querflöte mitgebracht, ein paar andere Trommeln, Töpfe und Rasseln. Der auch in Deutschland oft auf linken Demonstrationen verwendete Spruch “Siamo tutti antifascisti” wurde skandiert, während eine Organisatorin dafür sorgte, dass zwischen DemonstrantInnen und PolizistInnen immer zwei Meter Abstand blieb. Ich kletterte auf ein Baugerüst, um einen besseren Überblick zu bekommen. Der Polizei war das herzlich egal. In Deutschland hätte man mich sofort dafür verhaftet und angezeigt. Meine neue Freiheit in Italien gefällt mir sehr gut. Die Frage ist nur, wie lange diese noch bleibt.
Die Hippies riefen auch meine neue Lieblingsparole “Bibiloteca – quella cosa strana!” (Sinngemäß übersetzt: Bibliothek, diese seltsame Sache, die ihr nicht kennt!)
Gegen Ende der Demonstrationen um 16 Uhr rückte die Militärpolizei langsam ab, überwachte aber weiterhin den Haupttreffpunkt der linken Studierendenorganisationen, Piazza Verdi. Auf meinem Weg ins Uni-Viertel musste ich durch eine Polizei-Kette. Die PolizistInnen sagten freundlich “Bitteschön” und räumten ihre Schilde aus dem Weg. ACAB? Nein, nicht alle Cops sind Bastarde. Bei Lega Nord sieht das ein bisschen anders aus.
Natürlich soll bei der Demo-Beschreibung nicht der eigentliche politische Hintergrund verloren gehen, denn ich schreibe schließlich nicht für die Springerpresse. Was Lega Nord fordert, lässt sich leicht zusammenfassen… denn simple “Lösungen” sind das, was gern gewählt wird: Ausländer sollen Italien verlassen, insbesondere Flüchtlinge und eigentlich alle, die arm sind, außer, Überraschung, Norditaliener. Wie der Name Lega Nord (= Liga Nord) schon andeutet, betrachten sie Norditalien (Mailand, Venedig, Rom, Bologna, …) als dem wirtschaftlich schwachen Süditalien überlegen und plädierten einst für eine Abspaltung. Matteo Salvini ist der Parteisekretär und das Gesicht von Lega Nord; er ist es auch, der die älteste Partei Italiens immer weiter nach rechts führt.
Parallelen zu Deutschland und der EU
In deutschen Talkshows fragen ModeratorInnen immer noch: ,,Wird die Stimmung bald kippen?” Intellektuelle antworten seit Monaten: ,,Sie ist bereist gekippt.” Oder als was würden Sie es bezeichnen, wenn Flüchtlingsheime brennen? Etwa als ,,angewandte Architekturkritik” (Zitat ,,Heute Show”)? Max Uthoff schnäuzte sich in der Satiresendung ,,Die Anstalt”, die mittlerweile vielmehr eine Nachrichtensendung ist, mit einem Taschentuch in Deutschlandfarben die Nase; Jakob Augstein hatte bereits 2012 einen öffentlichen Allergieanfall gegen Nationalismus (Bild 1: Phoenix, Bild 2: ZDF). Doch hunderttausende andere Deutsche sind wieder ,,besorgt” um ihr Land und steigern sich von Patriotismus in Nationalismus hinein. Man wünscht sich plötzlich wieder geschlossene Grenzen.
Ich bin im Dreiländereck Deutschland-Belgien-Niederlande aufgewachsen, habe jahrelang in Belgien gewohnt und bin in Deutschland zur Schule gegangen, am Wochenende fuhr die ganze Clique nach Holland. Ohne Grenzkontrollen. Uns ist nicht einmal aufgefallen, dass wir jeden Tag mehrmals zwischen Ländern wechselten. Auch wenn ich an die Urlaube denke, die ich als Kind mit meiner Familie in Polen verbracht habe, kann ich mich nicht an irgendwelche Grenzkontrollen erinnern. Ich habe noch keine geschlossene Landesgrenze in meinem Leben gesehen. Und ich wünschte, das könnte auch so bleiben.
Aber Nationalismus wird wieder stärker. In Italien, in Deutschland, Österreich sowieso, Schweden, England, Polen, die Schweizer Regierung tut gewohnheitsmäßig als würde sie nichts sehen und nichts hören… die Liste ist lang. Mal wieder wird nach unten getreten. Von Freunden aus Deutschland höre ich: “Die [Geflüchteten] kriegen 670 Euro im Monat! Das ist Baföghöchstsatz! Ich kriege keinen Cent Bafög!” Ja, 670 Euro sind schon viel Geld. Aber bitte: Schau’ dich in deinem Zimmer oder in deiner Wohnung um. Höchstwahrscheinlich hast du zusätzlich auch noch ein Kinderzimmer bei deinen Eltern. Stell dir vor, das wäre alles weg. Ich werde jetzt deine Bude abfackeln, inklusive aller deiner persönlichen Sachen. Danach rufe ich bei deinem Chef an und sage, dass du morgen nicht zur Arbeit kommst, weil du das Land verlassen hast. Hier hast du 670 Euro. Viel Spaß damit. Und jetzt geh’ dir gefälligst mal einen Job suchen, du fauler Sack.
Nationalismus heißt, sich anderen gegenüber privilegiert zu fühlen, einfach aufgrund der Tatsache, dass man zufällig hier und nicht woanders geboren wurde. Nationalismus heißt auch: Abschottung. Grenzzäune und -Mauern sind der Grund für erschwerte, gefährlichere Fluchtwege. Und was bringen diese gefährlichen Fluchtwege? Leichen an Europas Stränden.
Das Ganze hier mag etwas polemisch formuliert sein. Das liegt daran, dass ich wütend bin. Ich habe heute tausende Menschen rechten Politikern zujubeln gesehen und weiß, dass es gerade fast auf dem ganzen Kontinent so abläuft. Außerdem bin ich etwas enttäuscht. Die meisten, die ich gefragt habe, ob sie mit mir gegen Salvini & Co demonstrieren wollen, haben geantwortet: ,,Lass uns lieber was trinken gehen. Ich bin da ja eher unpolitisch.” Aber Hauptsache “Refugees Welcome”-Titelbild bei Facebook. Unpolitisch zu sein muss man sich leisten können.
Wie lange können wir es uns wohl noch leisten?
Aus den privaten Italien-Notizen von Mirjam Kay. Der Text gibt meine Meinung wieder, was sich an dem kleinen Wort “ich” unschwer erkennen lässt. Wenn Sie dazu Fragen haben, lesen Sie bitte zuerst das INTRO meines Blogs.
Weitere Informationen zur aktuellen politischen Lage in Italien auf
Zehn vor sechs. Mein Wecker klingelt. Ich bleibe den Regeln des Erasmus Student Network treu, also, liegen. Den Großteil der Nacht habe ich damit verbracht, YouTube-Videos von Hostessen auf Motorshows anzuschauen. Das lässt sich mit ein bisschen Wohlwollen als Recherche bezeichnen. Denn heute ist mein erster Tag als Hostess in Italien.
Lange habe ich überlegt, ob ich das wirklich machen soll. Ob ich das wirklich machen will. Denn ich bezeichne mich als Feministin, auch wenn ich der Emma-Redaktion mit fünfzehn mal beleidigt eine Mail geschrieben habe; auch wenn ich in Stripclubs gehe und „Pussy“ manchmal als Schimpfwort benutze. Mit dem Feminismus halte ich es wie die Autorin Chimamanda Adichie: “Feminist: A person who believes in the social, political and economic equality of the sexes”. Ich bewerfe auch Männer gerne mit fettigen zerknitterten Fake-Dollarscheinen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Kurz gesagt: Ich bin weit davon entfernt, Feminismus „eklig“ zu finden, wenn ich hier mal meine Ex-Kommilitonin zitieren darf. Also warum ausgerechnet dieser Job? Ganz einfach: Ich wollte wissen, wie das so ist. Das Schöne an meinem Beruf ist ja, dass ich jeden Beruf kennenlernen und mich in jedes Thema einarbeiten kann. Ob ausversehen backstage auf der CeBIT oder nachts um vier am Steintor. Wie fühlt es sich denn an, nur die Dekoration für ein Produkt zu sein? Wenn man den ganzen Tag angestarrt wird als sei man ebenfalls käuflich?Es war mein zweiter Tag in Italien, als ich gefragt wurde, ob ich als „Standista” auf Auto- und Motorradmessen arbeiten wolle. Ich hatte meinen Koffer noch nicht ganz ausgepackt und konnte kaum Italienisch. Jetzt, sechs Wochen später, stehe ich völlig verklatscht vor dem Badezimmerspiegel und meinem ersten Problem: Rasur. Zwischen neandertaler-pelzig und chemotherapie-glatt gibt es ein breites Spektrum, in dem jede Frau finden kann, was ihr gefällt. Ab jetzt geht es aber nicht mehr darum, was mir persönlich gefällt. Gut, dass die Messe in Norditalien stattfindet und schon Herbst ist, also reichen Nylonstrümpfe als fairer Kompromiss. Ich habe mir genau ein einziges Mal in meinem Leben die Beine rasiert, weil in der Bravo Girl stand, dass ich das machen muss. Glücklicherweise habe ich danach bessere Lektüre für mich entdeckt.
Duschen, schminken, schwarzes Kleid geht immer, raus aus Wohnung. Vor dem Dragon Pub wartet schon der Fahrer, Antonio. Er ist klein und rundlich, hat eine Oliver Welke-Stirnglatze und walsersche Augenbrauen.Wir fahren los; noch ist es stockdunkel. Zwischenzeitlich ein klassisch italienisches Frühstück: Halbes Hörnchen und starker Espresso im Stehen, damit man auch ganz sicher fünf Stunden vor dem Mittagessen wieder Hunger hat. Stefano, der Chef der Oldtimer-Werkstatt, und zwei Frauen betreten das Café. Giovanna ist 23, Oriana 29 Jahre alt und beide arbeiten heute mit mir auf einer Auto- und Motorradmesse zwischen Bologna und Mailand. Außer Giovanna versteht niemand auch nur das kleinste bisschen Englisch. Aber ich bin ja auch zum Italienischlernen hier. Am Telefon hatte mir Stefano versichert, dass meine noch geringen Italienischkenntnisse gar nichts ausmachen werden, denn ich sei ja nicht zum Reden da. Die einzige klare Anweisung war, dass ich ein Minikleid anziehen solle. „Aber nicht zu kurz“, hatte Stefano hinzugefügt, als er in seiner Klischee-Werkstatt mit Porno-Postern an den Wänden arbeitete. „Du bist ja keine Prostituierte.“ Mit einem Grinsen, das das Gegenteil bedeutete, drückte er mir hundert Euro Lohn-Vorschuss und die Telefonnummer des Fahrers in die Hand.
Auf der Fahrt zum Messegelände diskutieren Antonio und ich über die Aussage meines Italienischlehrers, Berlusconi fresse Geld. So gut man als Sprachanfängerin eben diskutieren kann. „Berlusconis Problem sind die Frauen“, ruft Antonio verteidigend. Ich dachte immer, es sei genau anders herum. „Berlusconi ist albern, er ist ein Kind!“, fährt Antonio fort. „Ja, er frisst Geld, aber immerhin sein eigenes! Die Linken fressen das Geld des Volkes auf, Mario Monti ist nicht besser!“ Die Sonne geht auf, die Autobahn will nicht enden, Antonio redet sich in Rage. Mein Körper will schlafen, das Koffein sagt Nein. Warum kann ich mir diese zwei simplen Dinge nie merken: Dass ich Kaffee nicht vertrage und Politik kein Smalltalk-Thema ist.
Wir kommen auf dem Messegelände an. Das Logo unserer Oldtimer-Präsentation: Eine Damsel in Distress, die beschämt in ihrem kaputten Auto sitzt, während genau unter ihr ein Mann herumschraubt. Das Ganze sieht aus als hätte man Akif Pirinçci und Eva Hermann mit Buntstiften, Pappe und ohne Vorgaben in einen Raum gesperrt. Igitt, jetzt stelle ich mir das bildlich vor. Da fällt mir wieder ein, dass ich heute zehn Stunden lang im Minikleid durch eine Halle staksen und sexy aussehen soll, obwohl ich keinen Bock und meine Tage habe, womit ich mich nicht Minikleid-tauglich fühle. Aber beim Sport gestern musste ich für eine beknackte Übung auf meinem Trainingspartner sitzen und er ist ja auch nicht an Regelblut ersoffen. (Ja, das war jetzt ein bisschen von Stefanie Sprengnagel geklaut, weil ich sie feiere.)
Bevor die Besucher ankommen, nutze ich die Zeit, um über das Messegelände zu tigern. Besonders die Motorräder haben es mir angetan: Ducatis natürlich, BMWs, schicke Harleys von 1955. Die meisten Leute, die auf der Messe arbeiten, sind männlich und begrüßen mich überschwänglich. „Es ist selten, dass sich Mädchen für Motorräder interessieren“, sagt ein Verkäufer verblüfft. Darüber hätte ich gerne mir ihm diskutiert, aber Feminismus ist heute nicht drin und schon gar nicht auf Italienisch. Dass ich die Sprache so schlecht beherrsche, macht tatsächlich keinen großen Unterschied. Erwünscht ist sowieso nur: Nicken und lächeln. Zehn Stunden lang.
Giovanna und Oriana sind auch keine Berufs-Hostessen. Sie studieren beide Sozialwissenschaft in Bologna. Heute Morgen haben sie sich mit der Kleiderwahl abgesprochen, außerdem schlüpfen sie gerade in 15-Zentimeter-High Heels, in denen sie nur von einem Auto zum nächsten laufen können, ohne sich die Knochen zu brechen. Ich komme mir leicht verarscht vor, aber das ist hier ja kein Schönheitswettbewerb und ich muss lediglich das Wochenende überstehen, ohne dass mir mein gekünsteltes Lächeln entgleist. Chef Stefano kommt vorbei und kommentiert die Laufmasche in meinem Strumpf. Ich Dummchen bin nämlich beim Posieren an der Autotür hängengeblieben. Jep, das sind jetzt meine Probleme. Nicht EU-Politik, Sexismus, Bafögbescheide, Deadlines oder Creditpoints, nein, meine Schminke, mein Lächeln und die Laufmasche in meinem scheiß Strumpf. Die vier Automobile, die wir dekorieren, sehen auch so cool aus: Glänzender Lack, Ledersitze, Baujahre in den 1940ern und 1950ern.
Natürlich fragen uns alte Männer, ob wir Fotos mit ihnen machen möchten und wir tun so als fänden wir das ganz toll. Ein Typ fotografiert einmal unsere Gesichter und einmal nur unsere Beine. Jeder der Herren macht den gleichen Witz: „Ich bin ja nuuuur wegen der Autos hier, hihi.“ Oriana raucht Kette, Giovanna posiert, mir ist langweilig. Ein alter Mann kommt ganz nah an Giovanna ran und schnüffelt an ihr. Dann fragt er, welches Parfüm sie benutzt. Wenn es eins gibt, das schlimmer ist als Männer, die denken, sie könnten sich alles erlauben, dann sind es Männer, die denken, sie könnten sich alles erlauben in Uniform. Egal, ob Militär, rotes Kreuz oder Feuerwehr, alle finden sich total attraktiv und scheinen davon überzeugt zu sein, dass wir das auch so sehen. Oriana schaut zum fünften Mal ein Handyvideo an, das sie eben erst von sich selbst gemacht hat: Sie sitzt in einem der Ausstellungsautos, drückt die Hupe und lacht sich kaputt. Die Oriana von jetzt lacht über sich vor zehn Minuten wie sie über sich selbst lacht. Ich verliere den Glauben an das Gute im Menschen… und das noch vor zehn Uhr. Ein alter Sack fragt, ob man mich auch kaufen könne, als ich wissen will, wie viel eines seiner Motorräder kostet. Genervt gehe ich zurück an meinen Platz. Doch jetzt starre ich zurück, beobachte die Besucher und stelle Vermutungen über ihre Lebensumstände auf. Die reichen Männer erkennt man an ihrer geschmacklosen Kleidung. Die Frauen der reichen alten Säcke fragen uns Hostessen meist herablassend-spöttisch, ob uns denn nicht kalt sei. Nur eine Motorradrennfahrerin und die Putzfrauen sind ohne offensichtliche Hintergedanken freundlich zu uns. Marco, der Automechaniker, dem wir die schönen Oldtimer und damit unsere Jobs zu verdanken haben, kommt mit verliebtem Blick auf uns zugelaufen, hüpft über die Absperrung und schließt seinen Ausstellungsmotor in die Arme, auf dem ein metallisches „unverkäuflich“-Schild angebracht ist. Zärtlich streichelt er sein Meisterwerk.
Richtig leid tun mir die kleinen Jungen, die mit ihren Vätern hier sind. Vielleicht werden sie irgendwann neben einer Frau aufwachen, die gerade keinen Bock auf Schminke, High Heels und Beinrasur hat. Und dann werden sie sich betrogen fühlen. Weil die Dekoration keine Dekoration mehr sein will… und sich auch noch erdreisten wird, ihnen zu erzählen, sie sei nie eine gewesen.
Weil es zu nieseln beginnt und viele Italiener auf Regen reagieren wie andere Menschen auf Säure, packen die ersten Aussteller ein und wir können früher nach Hause fahren. Mir ist schlecht von den Autoabgasen, die ich den ganzen Tag lang eingeatmet habe. Der Rückweg über die Autobahn macht es nicht besser. Doch der Abendhimmel liefert ein Farbenspiel wie ich es lange nicht mehr gesehen habe. Blaulila zu Rosarot zu Orangegelbgold. Ein ganzer Tag rum. Vergeudet mit künstlichem Lächeln. Mir fallen gleich die Augen zu. Giovanna zückt ihr Handy und fotografiert den Sonnenuntergang für ihre Facebook-Freunde.
Sechs Uhr. Hä, Moment, ich habe doch gar nicht geschlafen! Ach, Mist. Duschen, schminken, losgehen, Antonio treffen, fünf Minuten frühstücken, auf zur Motorshow. Heute ist das Wetter besser, doch in Messehalle 4c immer noch kalt, darum trage ich Wollkleid und Lederjacke. Ein Greis um die 80 sagt, mein Körper sei super zum Kindermachen, leider könne er dabei nicht mehr behilflich sein. Giovanna übersetzt mir das und ich versuche, nicht ganz so angeekelt zu gucken. Die hirnlose Arbeit ödet mich inzwischen so an, dass ich „Kill Bang Marry“ mit den BesucherInnen spiele (Ergebnis: 126 kill, 3 bang, 0 marry). Außerdem veranstalte ich stillschweigend einen Giovanni di Lorenzo-Ähnlichkeitswettbewerb und die Quizshow „Ehefrau, Geliebte oder Tochter?“, denn einige reiche Sugardaddys haben blutjunge, Designerkleidung tragende Damen dabei, die kaum verbergen können, dass sie sich gerade zu Tode langweilen. Ein Mitglied des Outlaw MCs und seine „Old Lady“ schauen sich zusammen mit einem Prospect, der hinter ihnen herdackelt, die Oldtimer an. Der Outlaws Motocycle Club ist mit den Hell’s Angels verfeindet und einen Hell’s Angel konnte ich auch das ganze Wochenende lang nicht entdecken, aber Mitglieder des Venezianischen Chapters werden auf jeden Fall während der nächsten Motorshows vertreten sein, weil diese in „ihrem“ Territorium stattfinden werden (Territorien – auch so eine angeblich sehr männliche Sache, die eigentlich Hunden vorbehalten bleiben sollte).
Mechaniker Marco hat soeben sein teuerstes Auto verkauft. Stefano lässt den Sektkorken bis zur Hallendecke fliegen. Weil ich kaum etwas gegessen habe, bin ich nach drei Gläsern rotzbesoffen. Marco öffnet die zweite Flasche, Giovanna flirtet ein bisschen mit ihm, Oriana raucht und trinkt und schaut auf ihr Handy. Ich frage mich, warum ich mir nicht schon um sieben Uhr die Kante gegeben habe, denn betrunken ist dieser Job viel erträglicher. Marco lässt Giovanna stehen und umarmt wieder seinen Motor, Jahrgang 1935, wunderbar restauriert. Irgendwie schaffe ich es, mit Notizen machen und von einem Auto zum nächsten zu gehen, die restlichen zwei Stunden totzuschlagen.
Jetzt weiß ich also wie der Job als Hostess ist: Hirnlos, öde, besoffen ok. Aber was habe ich gelernt? Antwort Tag eins: Wie man jemanden, den man absolut unattraktiv findet, anlächelt als sei man scharf auf ihn. Dass Frauen mit Vaterkomplexen auf Motorshows gehen sollten, um allein schon vom traurigen Anblick geheilt zu werden. Antwort Tag zwei: Golduhren machen Männer nicht attraktiver. Ich sollte mich niemals betrunken in der Nähe von Giovanni di Lorenzo aufhalten. „Du bist so mager“, soll ein Kompliment sein. Und: der Druck, der beim unfeinen Sektrülpser entsteht, lässt sich in Energie für ein falsches Lächeln umwandeln.
Auszug aus meinen privaten Italien-Notizen, Herbst 2015
Schon vor dem Eingang zum riesigen Biennale-Gebiet erwartet einen Kunst: Eine moderne Interpretation des venezianischen Wahrzeichens (geflügelter Löwe) wie hier zum Beispiel. Und die Antifa ist auch da.
Installation: Life/Death. Auch unbedingt anschauen: American Violence.
Schutt und Asche, aber bunt. Von Katharina Grosse.
Klimawandel, motherfucker!
Ich gebe es ja zu: Zuerst war mir langweilig. Aber ich bin dankbar, dass Hannah mich zur Biennale di Venezia geschleppt hat. Kunstscheiße gab es da zwar so viel wie ich erwartet hatte. Doch manche war wirklich beeindruckend. Witzig fand ich es auch, die BesucherInnen zu beobachten. Es tragen wirklich viele Schwarz und gucken sehr gebildet. So entstand meine neuste Jobidee: Kunstkaufberaterin deluxe. Beschreibungen der Kunstwerke lesen (die sind meistens recht lang), dann neben die verbonzten Gelangweilten stellen, die murmeln: “Was will der Künstler mir damit sagen?” Laut die Antwort reinrufen, z.B. “KLIMAWANDEL, MOTHERFUCKER!” und sich mit Geldscheinen bewerfen lassen.
Einer meiner Favoriten: Die einfach nur mit Blei- und Buntstift geziechnete, detailverliebte Battleship-Reihe WITCH PLANES.
Der Zeichner arbeitet u.a. in Harlingen! Muss ich mal besuchen…
Darauf ist Verlass: Beste Kartoffelkamera-Qualitaet bei Cyberpunk Journalism !
Andererseits:
Der Original-Blogeintrag erschien am 22. Oktober 2015 auf CyberpunkJournalism, dem Blog von Mirjam Kay Kruecken.