Unsere nächste Reise sollte uns also in die Hauptstadt des kleinen Landes Estland führen, von dem ich bisher eigentlich nicht viel mehr gehört hatte als den Namen. Eher weniger ausgeschlafen machten wir uns am Dienstag pünktlich um 5:00 morgens auf den Weg. Nach Helsinki ging es mit dem Zug und dann weiter mit der Fähre, dieselbe, die uns schon nach Stockholm gebracht hatte. Diesmal dauerte die Überfahrt jedoch nur 2,5 Stunden, war für mich aber weitaus unangenehmer. Das Schiff hat sooo geschaukelt, meine Pläne, in meinem Buch zu lesen habe ich deshalb bald aufgegeben. Trotzdem sind wir sicher angekommen und einmal in der Altstadt von Tallinn, war alles vergessen. “WOW!” war mein erster Eindruck. Ich hatte vorher schon tolle Fotos gesehen und meine Erwartungen wurden vollends erfüllt. Wie beschreibt man die Stadt am besten? Mir kam sofort der Ausdruck “zwielichtig” in den Sinn, den ich in einer Beschreibung gelesen hatte. Irgendwie trifft es das. Das Wetter war leider die ganze Zeit über sehr grau und trist, was die faszinierende morbide Atmosphäre der mittelalterlichen Innenstadt zusammen mit der dort herrschenden Ruhe aber noch verstärkt hat. Überall roch es nach Mandeln und Pfefferkuchen, die auf der Straße verkauft wurden, das hatte ein bisschen was von Weihnachtsmarkt. An jeder Straßenecke gab es süße kleine Geschäfte und Stände mit estländischer selbstgestrickter Kleidung oder nach Gewürzen duftende Mittelalterläden, Leute in traditionellen Trachten und immer wieder neue schöne Details. Natürlich haben wir auch in einem echten Mittelalterrestaurant gegessen, bei Kerzenlicht. Als Vorspeise gab es getrocknetes Elchfleisch und dann eine wunderbar wärmende Pilzsuppe. Solltet ihr jemals nach Tallinn kommen, dann müsst ihr auch die Pfannkuchen im “Kompressor” probieren. Köstlich, riesig und mit 3€ unglaublich günstig (Wenn man aus Finnland kommt, ist dort aber sowieso alles unglaublich günstig…).
Tallinn ist eine Stadt der Gegensätze. Auf der einen Seite boomt die Industrie, moderne Hochhäuser, Einkaufszentren und viel Verkehr gibt es in der Neustadt. Betritt man allerdings die Altstadt durch die mittelalterlichen Stadttore, so fühlt man sich sofort in eine andere Zeit versetzt. Man kann das auch nicht vergleichen mit beispielsweise der Altstadt von Hildesheim. Es ist alles noch… ursprünglicher.
Viele herausragende Sehenswürdigkeiten gibt es im Vergleich zu anderen Städten nicht, das Zentrum ist einfach eine Sehenswürdigkeit an sich und man muss die Atmosphäre beim Durchschlendern der vielen Gassen einfach genießen.
Auch etwas ganz Besonderes war unser Hostel. Freudig überrascht hatten wir festgestellt, dass die Nacht in Tallinner Hostels immer nur ca. 10€ pro Person kostet.
Gelandet sind wir in einem waschechten Backpacker- und Partyhostel. Der Angestellte öffnete uns barfuss (!) die Tür, auch man selbst musste die Schuhe immer unten lassen. Die Rezeption war ein winziger Holztisch mit Computer, am nächsten Morgen schlief die gerade Diensthabende mit einem Kopfkissen dort 😉
Es gab einen Gemeinschaftsraum, in dem abends immer Weltenbummler, Party und viel Bier anzutreffen war. Wir haben uns mit Australiern unterhalten (soweit wir deren Englisch verstehen konnten…), die bereits seit April ununterbrochen durch die Welt reisen.
Da ich aber auch ein wenig Schlaf haben wollte, war ich sehr froh, meine Ohrstöpsel eingepackt zu haben.
Nach zwei Tagen Tallinn ging es dann wieder zurück auf finnischen Boden. Da natürlich ein Besuch der Hauptstadt nicht fehlen darf, wenn man so lange in Finnland weilt, haben wir dann auch dort noch eine Nacht verbracht.
Im Vergleich zu Stockholm kann Helsinki nicht mithalten. Alles ist nett anzusehen, modern, sauber und sicher, aber etwas fehlt um sagen zu können “Hier muss ich nochmal hin!”. Es ist eben eine ganz normale Großstadt, mit ein paar schönen Ecken. Ein Besuch lohnt sich aber trotzdem.
Natürlich machten wir eine ausgiebige Fotosession am Dom von Helsinki, der wohl bekanntesten Sehenswürdigkeit Finnlands. Zur Zeit gastieren dort die “Buddy Bears”, die auch schon mehrmals in Berlin ausgestellt wurden. Jedes Land der Welt hat seinen eigenen Bären, den Künstler aus dem entsprechenden Land gestaltet haben. Die Ausstellung soll Toleranz und Verständigung zwischen den Völkern, Kulturen und Religionen der Erde symbolisieren. Das war auf jeden Fall ganz nett anzusehen.
In der alten Markthalle von Helsinki gab es sogar (hoffnungslos überteuerten) Rentierdöner!! Leider haben sie zur Zeit kein Rentierfleisch mehr und haben gerade erst neues geordert.. 🙁
Somit habe ich mich mit einem Toast mit Rentiersalami begnügt und einer typisch finnischen Lachssuppe mit Milch und Kartoffeln, was beides sehr lecker war. Auch wenn die Salami eigentlich wie fast jede andere Salami auch geschmeckt hat.
Abends wurde es ziiiemlich kalt und hat angefangen zu schneien, was in Kombination mit einem leeren Magen und schmerzenden Füßen zu einem etwas reduzierten Sightseeing-Programm geführt hat. Wir haben uns noch die Felsenkirche angeguckt, welche im Rahmen eines Architekturwettbewerbes in Granitfels gehauen wurde und sehr schön ist.
Am nächsten Tag sind wir mit dem Schiff nach Suomenlinna gefahren, eine Seefestung vor dem Hafen von Helsinki. Sie wird als “Gibraltar des Nordens” bezeichnet, gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Heutzutage gibt es dort sogar 800 ständige Bewohner und wir sind zwei Stunden über das Inselchen spaziert.
Bei der Abreise am Bahnhof von Helsinki hab ich das allererste (und wahrscheinlich auch letzte) Mal in Finnland ein bisschen Stress, zu viele Menschen und Hektik gespürt. Kein Wunder, wohnen doch allein eine Million der fünf Millionen Menschen im Süden des Landes, vor allem im Ballungsraum der Stadt. Der schnellere Zug war leider ausgebucht, sodass wir 4,5 Stunden fahren mussten. Draußen war es teilweise weiß, im Binnenland bleibt der Schnee schon liegen. Hier in Vaasa ist es aufgrund der Lage am Meer immer ein bisschen wärmer, aber Freitag abend hatten wir auch hier eine zumindest bis zum nächsten Morgen existierende Schneedecke. Natürlich wurde sofort die erste Wohnheim-Schneeballschlacht veranstaltet.
Samstag waren wir auf einer sehr lustigen, traditionellen finnischen Studentenparty, genannt “Sitsit-Party”. Davon aber beim nächsten Mal mehr. Für den Moment heißt es jetzt erstmal Mensa und danach weiter lernen, lernen und lernen, weil ich Freitag meine erste Klausur schreibe.
Grüße aus einem heute -2°C kalten Finnland, der See hinter unserem Wohnheim ist über Nacht zugefroren 🙂